Ramadan ist traditionell die Zeit der nächtlichen Familienfeiern. Doch was, wenn das Verhältnis zur Familie schwierig ist? Queere Muslim:innen über Glaube und Familie.
Protokoll: Bao-My Nguyen
Während Ramadan verzichten viele Muslim:innen von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Speisen, Getränke und Sex. Doch der Fastenmonat ist auch Zeit der Familienfeiern und Nachbarschaftsfeste. Wie begehen junge, queere Muslim:innen diese Zeit?
Eylem Akyel*, 31, Sozialarbeiterin
Ramadan verbinde ich mit meiner Herkunftsfamilie. In meiner Kindheit haben wir oft Freund:innen und Bekannte eingeladen. Manchmal haben wir Iftar, das Fastenbrechen am Abend, auch bei ihnen verbracht. Seit ein paar Jahren ist für mich alles anders.
Vor vier Jahren habe ich mich bei meinen Eltern geoutet. In meiner damaligen Situation hatte ich keine andere Wahl: Meine Eltern wollten, dass ich nach dem Studium wieder bei ihnen wohne und nach ihren Vorstellungen lebe. Das wollte ich nicht. Nach meinem Outing sagten sie Dinge wie: "Als Frau sollte man das nicht machen. Du musst deinen Eltern gegenüber Respekt zeigen, das ist, was Gott von dir erwartet." Mein Vater hat seitdem nicht mehr mit mir gesprochen. Mein Bruder auch nicht. Meine Mutter und ich hatten hin und wieder Kontakt, bis sie eines Tages nicht mehr geantwortet hat. Die Funkstille hat drei Jahre gedauert.
Vor einem Jahr an Bayram, also dem Zuckerfest zum Ende des Ramadans, habe ich bei ihnen angerufen. Ich wollte es wieder versuchen, denn was ich auch gelernt habe von meiner Familie, ist: Egal wie sehr man sich streitet, an Bayram lässt man Konflikte hinter sich und begegnet einander wieder. Am Telefon musste ich mir Vorwürfe anhören, wo ich die letzten Jahre geblieben bin und ob ich zufrieden mit meinem Leben ohne Eltern sei. Eine Woche später bin ich hingefahren – meine Mutter ist auf mich zugekommen und hat mich lange umarmt, mein Vater hat stolz von seinem neuen Auto erzählt. Wir haben gemeinsam gegrillt und sie haben sich erkundigt, wie ich gerade lebe. Seitdem ist der Kontakt zu meinen Eltern zwar wieder da, aber wir haben ein schwieriges Verhältnis zueinander. Sie akzeptieren meine queere Identität nicht. Das Thema sprechen sie nicht mehr an, als wäre es nicht da.
Kurz vor diesem Ramadan habe ich meine Mutter angerufen: "Ich habe überlegt, ob ich jetzt am Wochenende komme." Meine Mutter sagte: "Komm vielleicht lieber nach Ramadan." Mein Bruder wollte nicht, dass ich da bin. Er geht mir aus dem Weg und will keinen Kontakt zu mir, möchte sogar nicht im gleichen Raum mit mir sein. Deswegen hat meine Mutter mir für das Wochenende abgesagt.
Als ich wusste, dass ich queer bin, habe ich meine Identität mit Gott für mich neu ausgehandelt.
Ich glaube schon, dass meine Mutter viel an mich denkt. Vor allem während Ramadan, wo es ja auch darum geht, sich selbst, das eigene Verhalten und Beziehungen zu reflektieren. Meine Eltern schaffen es aber leider nicht, sich von ihren Erwartungen zu lösen. Sie sagen mir: "Wir können uns wegen dir nicht mehr hier und da blicken lassen." Oder: "Alle Menschen fragen nach dir." Ich verstehe meine Eltern, in ihrer Community gibt es gesellschaftlichen Druck und sie versuchen, dem gerecht zu werden.
Als ich wusste, dass ich queer bin, habe ich meine Identität mit Gott für mich neu ausgehandelt. Da war ich Anfang 20. Zu Hause hatte ich gelernt, dass es sowas wie Queersein in unserer Religion nicht gibt. Das hat in mir viele Zweifel gesät: Warum passiert mir das jetzt? Verliere ich die Verbindung zu Gott? Kann ich jetzt nicht mehr muslimisch sein oder nicht mehr glauben? Nach vielem Nachdenken und Reflektieren habe ich verstanden: Ich sehe überhaupt gar keinen Widerspruch. Das allererste, was Gott von uns verlangt, ist Respekt. Dass wir gut zueinander sind, ohne uns zu verurteilen und ohne uns zu verletzen. Solange ich niemandem wehtue, mache ich nichts falsch.
Vor ein paar Jahren habe ich ein Iftar für queere muslimische Personen mitgestaltet. Es war wunderbar, unter Menschen zu sein, die ähnliche Erfahrungen machen. Meine Queerness und meine Religion wurde nicht hinterfragt.
Manchmal vermisse ich aber auch, dieses Gemeinschaftsgefühl an Ramadan mit meinen Eltern zu teilen. Ich vermisse, gemeinsam mit meiner Mutter in der Küche zu stehen und das Essen für Iftar vorzubereiten. Inzwischen koche ich selbst. Meistens bereite ich Gerichte zu, die ich mit Zuhause verbinde, wie gefüllte Auberginen, Börek oder sogar Laucheintopf, den ich früher nicht mochte. Sie sind für mich eine Verbindung zu meiner Familie.
Inzwischen wohne ich mit meiner Partnerin zusammen, die nicht muslimisch ist. Sie gibt sich sehr viel Mühe, Ramadan für mich zu einer schönen Zeit zu gestalten. Wenn ich morgens aufstehe, wünscht sie mir einen guten Start in den Ramadan oder fragt: "Was willst du heute Abend essen? Ich kümmere mich darum." Abends liegt auf jeden Fall eine Dattel auf dem Tisch, weil man das Fasten mit Datteln bricht. Und sie erkundigt sich, ob ich andere Menschen einladen möchte.
Zum ersten Fastenbrechen dieses Jahr sind zwei Freund:innen zu mir gekommen und haben mir Blumen und Süßigkeiten mitgebracht. Eine:r von ihnen hat gesagt: "Es wäre eine Ehre für mich, wenn ich Ramadan gemeinsam mit dir starten könnte." Durch solche Aufmerksamkeiten zeigen sie mir, dass ihnen bewusst ist, wie besonders diese Zeit für mich ist und dass sie sich um mich sorgen. Ich hatte letztendlich den schönsten Start in den Ramadan mit meiner Wahlfamilie.
*Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.